„Prequel“ zum heurigen ÖBB-Weihnachtsvideo, das sich – unter dem Motto: „Wir bringen zusammen, was zusammen gehört“ – um einen Buben dreht, der einen Teddy im Zug vergisst und letztendlich wieder bekommt.
„Stefan, mach endlich! Wir müssen uns beeilen, damit wir unseren Zug erwischen. Schließlich wollen wir ja rechtzeitig zur Bescherung zu Hause sein.“ – „Ach Mami, du hast wieder viel zu lang telefoniert.“ – „Ja, es war wichtig. Eine Kollegin... Aber jetzt komm, wir sind spät dran.“
Während sie zum Bahnhof hetzen, freut sich Stefan auf Daheim und auf Papa. In den letzten Tagen bei Omi am Land hat er sich sehr einsam gefühlt. Mami war ständig unterwegs und hat sich kaum um ihn gekümmert. Die anderen Kindergartenkinder fehlen ihm auch.
Am Bahnsteig angelangt, hören sie schon den schrillen Ton der Schaffnerpfeife. Schnell noch huschen sie durch die piepsende Tür und der Zug fährt los.
Im Waggon herrscht ein heilloses Durcheinander. Große Menschen, kleine Menschen, Koffer in allen nur denkbaren Größen und Farben, bunte Reisetaschen und schwarze Rucksäcke, ein Hund, noch mehr Menschen, irgendwelche Kabeln, Mäntel und Jacken, Plastiksackerln mit Reiseproviant und Getränkeflaschen und eine blaue Krücke sind in dem schmalen Gang zwischen den Sesselreihen durcheinandergewürfelt.
Mami ist fertig.
„Schau mal, da beim Tisch ist ein freier Sitzplatz. Setz du dich wenigstens hin. Ich kümmere mich inzwischen um unser Gepäck.“ Und schon ist sie in dem Gewurl verschwunden.
Stefan nimmt Platz. Neben ihm sitzt ein bärtiger Mann mit einem dicken Pullover, der laut mit der dünnen Frau auf der anderen Seite des Tisches spricht. Was sie reden, klingt nicht lieb. Irgendwas mit Geld und Arbeit. Bla bla. Neben der Frau lehnt ein Mädchen mit einem urlangen Zopf – vielleicht schon ein Schulkind. Es knabbert Chips aus einem riesigen Sackerl, in dem es fast verschwindet. Das Mädchen schaut irgendwie traurig aus.
Nach einiger Zeit taucht Mami auf, um Stefan zu sagen, dass sie einen Sitzplatz ergattern konnte – vier Reihen hinter ihm: „Ich bin eh da. Und später können wir uns bestimmt zusammen setzen“, murmelt sie noch, und futsch ist sie.
Wieder allein.
Bald kommt der Pfeifen-Zugbegleiter von vorhin. Er fragt: „Du bist Stefan? Deine Mami hat mir verraten, dass du da vorne sitzt, als sie mir euer Ticket gezeigt hat.“ Der riesige Mann im grauen Anzug wirkt sehr freundlich. Mit einem Lächeln sagt er: „Weil heute Weihnachten ist, bekommen alle Kinder von mir einen Lebkuchen.“ Und reicht Stefan die Leckerei.
„Und du?“ – Er hält dem Chips-Sackerl-Mädchen auch ein Stück hin. Die Kleine fragt die Frau neben ihr: „Mama, darf ich?“ Doch die bekommt das vor lauter Streiten gar nicht mit. Deshalb nimmt sie den Lebkuchen einfach. „Ihre Fahrkarten bitte“, sagt der Zugbegleiter noch. Der Dick-Pullover-Mann kramt ein Papier aus seiner Tasche hervor und streckt es dem Schaffner entgegen, ohne ihn auch nur anzusehen. Der zwickt mit seiner großen silbernen Zange hinein, bedankt sich, sagt noch „Frohe Weihnachten“ und geht weiter.
Stefan strahlt das Chips-Sackerl-mit-Lebkuchen-Mädchen an und sagt: „Der ist aber nett“. Das Mädchen lächelt schüchtern zurück und meint: „Fast wie der Weihnachtsmann.“ Darauf Stefan: „Wenigstens einer, der zu Weihnachten gute Laune hat. Mami ist die ganze Zeit grantig. Ich glaub, die hat ganz auf das Christkind vergessen.“ Und das Mädchen: „Meine Eltern streiten den ganzen Tag. Ich glaube, die haben MICH vergessen.“ Beide lachen.
Stefan fängt an: „Die Erwachsenen haben gar nichts kapiert. Sie glauben, dass sie für Weihnachten viel erledigen müssen und viel Geld ausgeben. Sie verstehen nicht, dass Weihnachten in ihrem Herzen beginnen muss.“ Darauf das Mädchen: „Genau. Was nützen teure Geschenke, wenn sie keine Liebe verschenken? Es wär doch so schön, wenn sie wenigstens an diesem Tag zeigen, dass sie sich wirklich für uns interessieren.“ Und Stefan: „Dabei ist es einfach: Sie brauchen sich nur ein bissl Zeit nehmen und bei uns sein. Mit Freude im Herzen. So will ich es machen, wenn ich groß bin. Das ist dann echt Weihnachten.“
Dem Mädchen wird ganz feierlich zumute. „Stefan, du bist ein guter Mensch. Ich habe das Gefühl, dass wir zusammen gehören. Deshalb wünsche ich mir vom Christkind nur eines: nämlich, dass wir uns wieder begegnen, wenn wir erwachsen sind und unsere Herzen sich dann immer noch so gut verstehen. Vielleicht verlieben wir uns sogar.“ – Sie hält sich die Hand vor ihr grinsendes Gesicht.
„Ja, das mag ich auch – aber wie soll ich es aushalten, so lange auf dich zu warten?“ Da sagt das Mädchen: „Moment, ich gebe dir mein Allerliebstes mit, damit du immer an mich denken kannst. Ich heiße übrigens Mara.“ Aus ihrer Tasche holt sie einen Teddybären heraus, den sie ihrem neuen Freund überreicht: „Tobi bleibt jetzt bei dir.“
Stefan ist verlegen: „Und ich habe gar nichts für dich.“ Aber Mara erwidert: „Doch. Das Licht, das du mir heute geschenkt hast, ist mehr wert als alles, was ich jemals bekommen habe.“
Just in diesem Moment fährt der Zug in die Station ein und Mara muss ihre streitenden Eltern dazu bewegen, hastig alle Sachen zusammen zu packen und auszusteigen. Ein kurzer Blick noch – dann bleibt Stefan nur mehr der kuschelige Bär als Erinnerung an diese wahrlich weihnachtliche Begegnung.